Ich sehe schon das Augenrollen vor mir. Oder der verkniffene Gesichtsausdruck, den ich selbst auch beim Wort „Selbsthilfegruppe“ mache.

Getting social …. och nö.

Bei allem Respekt vor der Arbeit, die von vielen für diese Gruppen geleistet wird. Ich wage es dennoch, zu erwähnen: Es fühlt sich für Autisten nicht sehr verständnisvoll an, wenn wir wieder zu Gruppenarbeiten motiviert werden sollen.

Und dann bin ich trotzdem mal zu Treffen gegangen - beziehungsweise habe mich online dazugeschaltet -, um der Sache eine Chance geben. Und ich habe einen ganz wichtigen Unterschied kennengelernt.

Wann Gruppenarbeit sinnvoll sein kann

Früher wie heute sind Gruppenarbeiten oft auf eine bestimmte Aufgabenstellung fokussiert. Das gilt sowohl für Erziehung, Schule als auch für Beruf. Allerdings ist es beliebt, die Organisation der Gruppe sich selbst zu überlassen. Ich höre von Menschen, die die ungerichtete Gruppenarbeit befürworten, dass durch die gegeneseitige Inspiration die Kreativität der Gruppe deutlich verbessert wird.

Das kann man durchaus in Frage stellen. Wenn alle Gruppenmitglieder eine ähnlich extrovertierte Arbeitsweise haben, dann kann die gegenseitige Inspiration eintreten.

Schwächen von Gruppen

Oft aber sind Menschen unterschiedlich. Es kann Untergruppen geben, die den großen Kreis dominieren. Einzelne Mitglieder neigen dann dazu, sich zurückzunehmen. Aus Vorsicht. Aus Opportunismus. Oder weil die Aktiven die übrigen Mitglieder aus der Gruppe verdrängen. Und hier sei daran erinnert, dass es für Aktive schwer zu ertragen ist, wenn passive Menschen die Produktivität einer Gruppe ausbremsen oder sogar zunichte machen. Viel Konfliktpotential!

Gute Moderatoren oder Führungskräfte können diese Dynamiken erkennen. Und bevor Schaden entsteht, bringen sie die Gruppe zurück zu einer respektvollen Gemeinsamkeit.

Ein wichtiger Unterschied

Gilt dies auch für Selbsthilfegruppen? Zum Teil. Es benötigt zumindest zu Beginn eine Moderation, die vorsichtig die Beteiligten zur Mitwirkung ermutigt. Immerhin geht es hier um viel persönlichere Themen als sonst im Alltag.

Dann aber tritt ein entscheidender Unterschied in Kraft: Es gibt keine Aufgabe. Auch keinen Druck, bei einer Minderleistung schlecht bewertet zu werden. Und dieses „Nicht bewerten“ verändert die Stimmung ganz entscheidend. Es ist ein Gruppenerlebnis ohne Bewertungszwang. Ohne Trigger für alte gelernte Selbstkritik, für schlechte Erfahrungen und Erinnerungen.

Und dann ist es auch nicht so wichtig, dass innerhalb des Autistischen Spektrums wieder alle Betroffenen sehr verschieden sind. Man wird daher in Selbsthilfegruppen auf Persönlichkeiten treffen, mit denen man nicht sofort eine Wellenlänge haben wird. Oder nicht dieselben Interessen teilt.

Und auch das ist dann nicht so entscheidend, denn dann kann man in der Gruppe auch einfach mal ein wenig zuhören. Oder kleine eigene Beiträge einwerfen und feststellen, dass - erneut - keine Bewertung erfolgt.

Kann man mal probieren

Ich habe von Menschen gehört, die einen regelrechten „WOW“-Effekt erlebt haben. Bei mir ist bei mehreren Gruppen dieser Effekt zwar nicht eingetreten.

Und ungeachtet dessen war es eine …. sagen wir, stabilisierende Erfahrung. Das ich etwas weniger fremd bin, als ich es gewohnt bin. Selbst bei sehr höflichen und aufmerksamen Konversationen ist die Kluft ein ständiger Begleiter.

Doch in dieser Gesellschaft scheint die Kluft kleine Brücken zu haben. Und schon ist auch diese Belastung nicht mehr so wichtig.

Das ist heilsam!

Alles Gute,
Nils